- Vegetarismus
- Ve|ge|ta|rịs|mus 〈[
ve-] m.; -; unz.〉 Ernährung durch fleischfreie Kost
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Ve|ge|ta|rịs|mus, der; -:Lehre, die den Genuss ausschließlich od. überwiegend pflanzlicher Kost anstrebt.* * *
Vegetarịsmus[v-; zu englisch vegetarian »Vegetarier«, weiter zu vegetable »pflanzlich«, zu lateinisch vegetare »beleben«] der, -, zusammenfassende Bezeichnung für verschiedene Ernährungsformen, bei denen neben pflanzlichen Lebensmitteln nur solche Produkte verzehrt werden, die von lebenden Tieren stammen (Milch, Käse, Eier). Anhand der Lebensmittelauswahl können vegetarische Kostformen in verschiedenen Gruppen eingeteilt werden. Veganer, auch strikte oder strenge Vegetarier, lehnen den Verzehr sämtlicher Lebensmittel ab, die vom Tier stammen. Laktovegetarier nehmen neben pflanzlicher Nahrung auch Milch und Milchprodukte zu sich. Lakto-Ovo-Vegetarier beziehen zusätzlich Eier in ihren Speiseplan mit ein. Einige Vegetarier (Rohköstler) essen ausschließlich rohe, unerhitzte Produkte.Zur Geschichte des VegetarismusDer prähistorische Mensch hat sich überwiegend, aber nicht ausschließlich von Pflanzenkost ernährt. Menschen und Affen sind Allesesser (Omnivoren), d. h. sowohl an pflanzliche als auch an tierische Nahrung angepasst, bei vorwiegend pflanzlicher Ernährung. Der Vegetarismus entwickelte sich Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. in Indien und wohl unabhängig davon im östlichen Mittelmeerraum, wo der griechische Philosoph Pythagoras von Samos als Ahnherr des Vegetarismus gilt. Pythagoras und seine Anhänger lehnten es wegen der Verwandtschaft aller beseelten Lebewesen ab, Tieren etwas zuleide zu tun, sie zu verzehren oder zu opfern. Auch Philosophen wie Platon, Epikur, Plutarch und viele Neuplatoniker empfahlen fleischlose Kost. Der Vegetarismus wurde in Verbindung gebracht mit dem Gedanken einer möglichen Reinkarnation der Seele in einem Tier und mit dem ethischen Streben nach einem Leben im Einklang mit allem Seienden und dem Kosmos insgesamt.In Indien ist der Vegetarismus weit verbreitet und verbunden mit Ahimsa (»Nicht-Töten«, Gewaltlosigkeit gegenüber allen empfindungsfähigen Wesen), einem der bereits in den Veden bekannten ethischen Hauptgebote, das im 20. Jahrhundert besonders bedeutsam auch für M. Gandhi war. Die Jainas halten sich sehr streng an dieses Gebot. Verehrung und Schutz genießt v. a. die Kuh, die als ein Symbol der Mutter gilt und eine wichtige wirtschaftliche Aufgabe erfüllt. Wie die Veden lehrt auch der Buddhismus die barmherzige Hingabe an das Wohlergehen aller Kreaturen; jedoch wird in der Regel kein strenger Vegetarismus praktiziert, im Sinne des von Buddha gelehrten »mittleren Weges«, der eine Ausgewogenheit zwischen sinnlichem Genuss und Weltentsagung empfiehlt.Der Vegetarismus erhielt neue Impulse im Zusammenhang mit dem humanitären Gedankengut des 17. und 18. Jahrhunderts, u. a. dem Hinweis auf die Leidensfähigkeit der Tiere, und breitete sich im 19. und 20. Jahrhundert weiter aus. In Deutschland bildete fleischlose Ernährung ein Element im Rahmen des grundsätzlichen Versuchs, dem mit den rapiden Veränderungen der Lebenswelt durch naturwissenschaftl.-technische Entwicklung und Industrialisierung konfrontierten Menschen eine »natürliche« Lebenssphäre zu bewahren. Sport- und Jugendbewegung, Naturheilkunde, antialkoholische Bestrebungen fanden auch in Vegetariertum (»Lebensreform«) ihren Ausdruck. Vielfach trugen Einzelne zur Verbreitung des Vegetarismusgedankens bei (Vegetarier waren z. B. L. N. Tolstoj und G. B. Shaw), ebenso religiöse Gruppen wie die Trappisten, die Adventisten und die Mormonen. Nationale Vegetariergesellschaften wurden gegründet, so 1847 in Großbritannien die Vegetarian Society, 1889 und endgültig 1908 die International Vegetarian Society als Dachorganisation. In Deutschland gründete 1867 der Theologe und Politiker E. W. Baltzer den ersten Vegetarierverein. Durch Initiative des Politikers G. von Struve entstand 1886 die (bis heute bestehende) Vegetarische Gesellschaft Stuttgart.Weiteren Auftrieb erhielt der Vegetarismus vor dem Hintergrund der tief greifenden Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten in den Industrieländern (starke industrielle Be- und Verarbeitung von Nahrungsmittelgrundstoffen, fett- und proteinreiche Nahrung, wenig Ballaststoffe), die mit einem erhöhten Risiko für zahlreiche Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebs verbunden sind. Hinzu kommen im 20. Jahrhundert zunehmend Schadstoffbelastungen der Nahrung.In dem Bemühen um eine naturgemäße Heilmethode legte zunächst M. Bircher-Benner die Grundzüge einer weitgehend naturbelassenen Ernährung (Rohkost) dar. 1890 kamen die Reformhäuser auf. Im Gefolge der Reformbewegung entwickelte sich der biologische Landbau (ökologischer Landbau). W. Kollath propagierte die Vollwerternährung. Im Mittelpunkt verschiedener daran anknüpfender Ernährungssysteme steht das Bestreben, im Gegenzug gegen die »denaturierte« Zivilisationsnahrung die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit mittels einer vollwertigen Ernährung zu fördern und Krankheiten vorzubeugen oder sie zu heilen. Dies führte zum Entstehen von Kliniken und Sanatorien mit teilweise oder ausschließlich vegetarische Ernährung, zum Teil in Verbindung mit einer erweiterten Medizin oder mit dem Angebot von Naturheilmethoden, außerdem von Naturkostläden und Vollwertrestaurants.Ernährungswissenschaftliche, ethisch-weltanschauliche und sozioökonomische AspekteGegen den Vegetarismus wird häufig eingewandt, dass er zu Mangelerscheinungen führe. Diese Auffassung ist aber für lakto-(ovo-)vegetarische Ernährungsformen inzwischen eindeutig widerlegt. Eine vielseitig zusammengestellte vegetarische Ernährung entspricht den gegenwärtigen präventiven Ernährungsempfehlungen weitaus besser als die üblicherweise praktizierte Ernährung. Lakto-(Ovo-)Vegetarier nehmen insbesondere weniger Nahrungsenergie und Fett zu sich und senken bereits dadurch ihr Risiko für verschiedene Erkrankungen. Auch der Proteinbedarf ist entgegen einer früher weit verbreiteten Ansicht problemlos zu decken. Die Versorgung mit den meisten Vitaminen und Mineralen erreicht oder übertrifft die Empfehlungen und ist insgesamt günstiger zu beurteilen als bei einer durchschnittlichen fleischhaltigen Ernährung. Allerdings bedarf die Aufnahme von Eisen sowie Vitamin B6 besonderer Beachtung, v. a. in Lebensphasen mit erhöhtem Nährstoffbedarf (Kindheit, Schwangerschaft, Stillzeit). Während lakto-(ovo-)vegetarische Ernährungsformen keine besondere Sachkenntnis erfordern und problemlos praktiziert werden können, ist die vegane Ernährung nur für solche Personen geeignet, die sich intensiv damit auseinander gesetzt haben. Problemnährstoffe bei veganer Kost sind neben Eisen und Vitamin B6 auch Calcium, Vitamin B12 sowie Vitamin D.Insgesamt wird inzwischen davon ausgegangen, dass der gesundheitliche Wert des Vegetarismus weniger durch das Meiden von Fleisch und Fisch bedingt ist, sondern in erster Linie auf dem erhöhten Verzehr pflanzlicher Nahrungsmittel basiert. Wesentlichen Anteil daran besitzen neben den Ballaststoffen die erst seit Anfang der 1990er-Jahre im wissenschaftlichen Interesse stehenden sekundären Pflanzenstoffe (z. B. Carotinoide, Polyphenole). Diese Substanzen finden sich ausschließlich in pflanzlicher Nahrung und besitzen zahlreiche gesundheitsförderliche und -schützende Eigenschaften.Die Gründe für eine Hinwendung zum Vegetarismus sind vielfältig. Es dominieren gesundheitliche und ethisch-religiöse Überlegungen. In gesundheitlicher Hinsicht werden Prophylaxe und Heilung verschiedener Erkrankungen sowie eine Steigerung der Leistungsfähigkeit als wesentliche Gründe angeführt. Ethische Ansätze gehen u. a. von der biologischen Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier und von der Erkenntnis der Leidensfähigkeit der Tiere aus, in deren Konsequenz das Töten von Tieren abgelehnt wird. Auch die Probleme der Massentierhaltung und der Tiertransporte (nicht artgerechter Umgang mit Tieren, Einsatz von Masthilfsmitteln, hygienische Risiken) stoßen unter Vegetariern auf massive Kritik.Aus sozioökonomischer Sicht kommt zur Deckung eines angesichts der zunehmenden Weltbevölkerung steigenden Protein- und Kalorienbedarfs nach Auffassung von Experten nur eine Erhöhung des vegetabilen Nahrungsanteils infrage. Der Umweg der Nahrungsproduktion über das Tier gilt als besonders verschwenderisch; zur Bildung von 1 kg tierischen Protein werden 5-10 kg Pflanzenprotein verbraucht. In Wohlstandsländern wird etwa die Hälfte des Getreides an landwirtschaftliche Nutztiere verfüttert oder zu Alkohol umgewandelt. Mit vegetarischer Mischkost können somit erheblich mehr Menschen ernährt werden als mit herkömmlicher Kost.H. F. Kaplan: Warum Vegetarier? Grundlagen einer universalen Ethik (1989);V. E. Pilgrim: Zehn Gründe, kein Fleisch mehr zu essen (13.-15. Tsd. 1994);K. Clements: Vegan. Über Ethik in der Ernährung & die Notwendigkeit eines Wandels (a. d. Amerikan., 1996);A. Hahn: Vegetar. Ernährung. Gesund u. bewußt essen (1998).* * *
Ve|ge|ta|rịs|mus, der; -: Ernährungslehre, die den Genuss ausschließlich od. überwiegend pflanzlicher Kost anstrebt.
Universal-Lexikon. 2012.